Eine Geschäftsreise nach Singapur brachte mir vor vielen Jahren ein einschneidendes Erlebnis. In den seriösen asiatischen Saunabetrieben mit Massageangeboten werden grundsätzlich die Frauen von Frauen bedient und die Männer von Männern in jeweils getrennten Bereichen. Ich genoss eine ausführliche Massage mit anschließendem Körper-Schrubben und Seifenschaum. Der junge Mann, der gut für mein Wohlbefinden sorgte, legte mir gegen Ende ein kleines Handtuch über die Augen, da das Licht recht hell war und ich so besser entspannen konnte. Dann wusch er meinen Körper ab und fragte, ob er mich auch zwischen meinen Beinen waschen solle. Mutig bejahte ich und er fuhr mit der Waschung auch an meinen Genitalien fort. Als er dann auch meine Hoden gewaschen hatte, begann er meine Bälle zu massieren. Mein Lingam und mein Körper freuten sich – ich bekam eine Erektion! Und in meinem Kopf schrie etwas auf: „Du darfst keine Erektion bekommen, wenn ein Mann dich berührt! Du bist doch nicht schwul!“
Die Stimme war laut und machte mir Angst und schließlich gewann sie die Oberhand über mich und ich riss mir das Handtuch von den Augen und sagte „STOP“! Der Masseur war ziemlich verdutzt und entschuldigte sich mit den Worten „ball massage is good for man’s health!“. Das war der Stimme in mir aber ziemlich egal. Ich nahm mein Handtuch, bedeckte meinen erigierten Lingam und verabschiedete mich mit einem – der Peinlichkeit angemessenem – guten Trinkgeld.
Ich lache heute noch über diese Geschichte! Erging es mir damals doch wie vielen anderen Männern, denn ich glaubte fest daran, dass ich als Mann (Shiva) meine sexuelle Erfüllung ausschließlich in der Begegnung mit dem weiblichen Pol (Shakti) finden könnte. Während meiner Tantra Lehrerausbildung erlernte ich natürlich auch die Lingam Massage und durfte in dieser Zeit viele Lingams berühren. Dabei erlebte ich eine Stärkung meiner eigenen Männlichkeit (Shiva-Qualität)! Mann und Frau erfahren ihre Polarität eben offenbar nicht automatisch in einer Begegnung, in der die Beteiligten ihr Gegenüber benutzen, um sich selbst zu definieren. Vielmehr steigt die Intensität der Begegnung dadurch, dass die Beteiligten bereits ihre eigene Shiva- bzw. Shakti-Qualität integriert haben.
Unsere Bilder sind – wie die Wortwahl schon vermuten lässt – stark visuell geprägt. Wenn also mein Sehsinn ausgeschaltet ist, kann ich mich viel besser auf meine eigene Lust einlassen. Und schon ist nicht mehr mein Gegenüber für meine Lust verantwortlich, sondern ganz allein ich selbst. Als ich in einem großen Seminar einmal die Frauenseite zahlenmäßig ausglich und die Männer mit verbundenen Augen von den Frauen massiert wurden, hat keiner der Männer, die ich berührte gemerkt, dass ich ein Mann bin. Stattdessen kamen später ganz andere Männer auf mich zu und behaupteten, ich wäre bei ihnen gewesen. Sie machten sich ein Bild, um ihre eigene Lustlosigkeit vor sich selbst damit zu begründen, dass sie von mir – einem Mann – berührt wurden und nicht von einer Frau.
Warum verabschieden wir uns nicht einfach von der Vorstellung, dass nur eine Frau einen Mann oder ein Mann eine Frau glücklich machen kann? Warum übernehmen wir nicht selbst die Verantwortung für unser Glück, unsere Lust, unseren Orgasmus? Dann könnten Shiva und Shakti in uns erblühen und so erführen unsere Begegnungen eine neue Dimension von Freiheit, Absichtslosigkeit und göttlicher Liebe!
Text: Klaus Gabriel Peill (Tantra- u. Reiki-Lehrer, Familiensteller, spiritueller Wegbegleiter)
Website: www.quinta-essentia.de
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