Jahr um Jahr haben wir die Freuden (wie auch die Herausforderungen) auf unserem tantrischen Weg genossen und nun taucht langsam die Frage auf, ob das auch im Alter weiter so sein kann oder möglicherweise ein noch vertiefteres Entfalten unseres tantrischen Potentials möglich sein wird.
Gern mag ich als langjährig Übender auf dem tantrischen Pfad wie auch als Arzt für Homöopathie, Naturheilkunde und Psychotherapie meine vielfältigen Erfahrungen teilen.
Zunächst liegt mir am Herzen, das Altern nicht nur als äußerst unliebsame und schmerzhafte Begleiterscheinung unseres irdischen Daseins zu verstehen, sondern gerade auf dem spirituell tantrischen Weg als Lehrmeister, sich allen Aspekten unseres Seins zu stellen und dadurch zu wachsen. In allen mystischen Traditionen, auch in den hier besonders präsenten Christentum und Buddhismus wurde Alter, Krankheit und Tod als Herausforderung geschätzt, um die Qualität von Zeitlosigkeit, Ewigkeit und Befreiung in universeller Liebe in uns selber zu manifestieren.
Wenn wir nun beim Körper beginnen, kann ich nur wärmstens empfehlen, mittels gesunder Ernährung und Lebensführung eine starke Basis für lange Vitalität im Alter zu schaffen, Dazu gehören für mich eine vitalstoffreiche naturbelassene zuckerfreie Ernährung, sinnvollerweise auch durch (Wildkräuter-) Smoothies ergänzt. Nahrungsergänzungsmittel in Form von Mineralstoff- und Vitaminpräparaten halte ich je nach individueller Konstitution und eher phasenweise als hilfreich.
Altersgemäß spielt die Zeit in und nach der Menopause eine große Rolle auch bei der Frage nach Sexualität im Alter. Hier kann definitiv festgestellt werden, dass die sexuelle Aktivität an sich schon eine Art natürlichen Hormonbooster darstellt, auf den man nicht verzichten sollte. Wenn es aber dann doch zu Mangelzuständen kommt, habe ich ausgezeichnete Erfahrungen mit dem Einsatz der natürlichen bioidentischen Hormontherapie gemacht, meist reicht hier die moderat dosierte Gabe von Progesteron, sowohl bei Frauen wie auch bei Männern. Wirksame Ergänzungen sind Naturheilpräparate wie Maca, Safran und viele andere. In manchen Fällen habe ich auch gute Erfahrungen durch die Hinzunahme von niedrigst dosierten pde-5-Hemmern wie Sildenafil oder Tadalafil gemacht.
In jedem Fall empfehle ich die tägliche Praktizierung von Körperübungen in Form von Qi Gong, Yoga oder den vielen anderen Übungsformen aus den verschiedensten Kulturen.

Zusätzlich schätze ich das zusätzliche Training der Beckenbodenmuskulatur, des PC-Muskels, bekannte Namen dafür sind die Kegel- und Hirschübung. Hier kann auch schon mit Visualisierungen der Chakren und des Zentralkanals der energetische Effekt intensiviert werden. Aus dem Daoismus kennen wir eine enorme Vielfalt in der Vertiefung der Arbeit mit den sexuellen Energien und dem Körper, die immer schon zur Erfahrung der Verjüngung führten.
Wenn wir uns jetzt dem Liebesspiel zuwenden, freue ich mich immer wieder über den Wechsel in der Qualität der Begegnung als Paar, der durch die Achtsamkeit und Langsamkeit (z.B. in Form des Slow Sex oder Karezza) entsteht, wenn die Fixierung auf Gipfelorgasmus und Zielorientierung losgelassen werden kann. Hier ist schließlich sogar die stille Vereinigung auch ohne Erektion eine erfüllende Möglichkeit, energetische und liebevolle Verbindung zu teilen.
In diesem Zusammenhang habe ich nicht selten erlebt, dass für nicht wenige Paare irgendwann die Notwendigkeit auftaucht (und viele haben das bisher vermieden), sich auch auf die Schattenarbeit einzulassen, die meines Erachtens immer mit dem tantrischen Weg verbunden ist, das vertrauensvolle sich öffnen auch mit den ungeliebten Gefühlen und Emotionen, die jeder von uns in sich hat, ggf. auch eine Beziehungsklärung. Das kann in der sexuellen Begegnung selbst stattfinden (siehe auch das Wahrsprechen von Makaja), in Zwiegesprächen oder auch mit Unterstützung eines Paartherapeuten, wenn diese Art der Kommunikation lange vernachlässigt wurde und sich schwierig gestaltet. Auch eine vertiefte Form des Mitteilens von Wünschen und Grenzen in der sexuellen Begegnung wie auch in der Partnerschaft allgemein ist oft segensreich, wie z.B. im Wheel of Consent, dem Rad des Einvernehmens.
Diese geschilderten Aspekte reichen oft schon, eine Basis für Zufriedenheit in Bezug auf Sex im Alter zu gewährleisten.
Als Praktizierender des tibetisch-tantrischen Buddhismus möchte ich für spirituell ausgerichtete Menschen hier zusätzlich das Potential des jahrtausendealten authentischen tantrisch-sexuellen Weges im alten Indien, Tibet und China anreißen, der auch als Karmamudra bezeichnet wird und gerade im Alter seine Früchte tragen kann.
Tantra bedeutet ja u.a. verweben, hier ist das Verweben von Gott und Welt gemeint, die Wiedervereinigung von dem, was in unserem Bewusstsein oft getrennt ist, die Einheit, Nondualität und Erfahrung von selbstloser universeller Liebe.

Durch die Übung der Reinigung der Chakren und des Zentralkanals werden wir frei, die Kundalini frei fließen zu lassen und in allen Chakren sich ausdehnen zu lassen, was in die Erfahrung des Ganzkörperorgasmus oder Talorgasmus münden kann. Interessanterweise entsteht dann ein Zustand, in dem außen wenig oder gar keine Bewegung mehr wahrnehmbar ist, innerlich aber charakterisiert ist durch Ekstase und kraftvolle Erfahrung des freien Entfaltens aller Chakren und schließlich sogar der Einheitserfahrung, die Leerheit, Freiheit und universelle Liebe als die Erfahrung unseres ureigenen Wesenskernes ermöglicht.
Darin eröffnet sich dann auch die paradoxe Erfahrung von Zeitlosigkeit in unserem raum-zeitlichen Wahrnehmungsgefüge, das Schmecken der unzerstörbaren Ewigkeit, das befreiende Transzendieren von Alter und Tod gerade in der liebevollen Annahme dieser Erscheinungen.
Das Tor, das für mich auf dem tantrischen Weg nach langen Jahren eine entscheidende Bedeutung bekam, ist die bewusste Entscheidung des Wechselns vom Ich zum Du, vom Nehmen, haben wollen und für mein Glück etwas brauchen zum Geben, für dich da sein, für deine Weiterentwicklung und deine Glückseligkeit ganz mich hinzugeben. Eine Kernweisheit sowohl im Mahayana/Vajrayana-Buddhismus wie auch im Christentum.
Text: Dharwa Phuntsok (Yogi Bernd)
Webseite: https://tantra-sadhana.de/
Danke schön, sehr informativ.