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Armin Heining im Interview

Hallo Armin, Du bereits 1992 GAY-TANTRA begründet und mit tausenden Männern gearbeitet. Wie geht es Dir nach so langer Zeit?

Mein Enthusiasmus ist ungebrochen: Im Moment beschäftige ich mich mit digitalen Plattformen und prüfe, wie ich mein Engagement noch stärker im digitalen Zeitalter ankommen lassen kann.

Du warst kürzlich sehr angerührt, als ein Teilnehmer Deiner hochenergetischen Seminare auffallend ehrlich von seinen Erfahrungen mitteilte. Magst Du davon erzählen?

Ich leitete ein 4-tägiges Intensiv-Seminar. Ich nenne den Teilnehmer Richard: Er wollte multiorgasmisch werden und sich zugleich seiner größten Angst stellen: In den Kreisen schwuler Männer sich selbst und seine Sexualität zu erforschen. Ich habe von ihm noch im Ohr: „Wo könnte ich Multi-Orgasmen besser erlernen als bei Männern, die wissen, wie zu berühren und zu stimulieren?“, argumentierte er. 

Ein mutiger Schritt, wie ich finde. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich als Partnerin auch davon profitiere, wenn der Mann sein Selbstgefühl in der Sexualität vertieft.

Ja, seine Freundin war voller Freude, als sie von seinem Ziel hörte – sie genießt vibrierende Liebhaber, mit denen sie lange Intimität teilen kann!

Es gibt immer noch viele Berührungsängste zwischen Frauen liebenden und Männer liebenden Männern. Wie würdest Du den Unterschied beschreiben von einer Hetero Männer-Tantra Gruppe zu einer Homo Tantra Gruppe, auch wenn sie gleiche oder ähnliche Inhalte hat?

Es ist tatsächlich sehr anders, in einen schwulen Kontext zu sein und ähnliches mit anders sexuell orientierten Freunden zu erleben: Für den heterosexuellen Mann fällt der Anker seiner eigenen sexuellen Orientierung im Gruppenleiter weg: Plötzlich leitet ein Schwuler gleiche oder ähnliche Rituale an. Dieser in intimen Angelegenheiten völlig neuer Kosmos kann reinigende Erfahrungen unterstützen und tiefste Ängste heilen. Er hilft, noch tiefer bei sich selbst, in seiner eigenen Kraft und sexuellen Identität anzukommen. 

Wie hat Richard das Seminar erlebt?

„Ständig hatte ich während der vier Tage mit Ekel, Abscheu, Scham und Unsicherheit zu kämpfen“ berichtete er. 
„Die Angst vor Kontrollverlust war permanent anwesend. Wenn ich massiv die Kontrolle verliere, spüre ich auch im Alltag Angst, Panik und Ohnmacht so wie auf dem Seminar; doch im Kurs in ziemlich extremer Form.“

Was hat die Teilnahme von Richard in Dir bewegt?

Mir hat der Atem gestockt: Ich fühlte mich in Herz und Sex berührt, wenn Richard fünf Meter im Raum entfernt, so ehrlich und offen sich mitteilte. Welche Bereicherung, ihn als Teilnehmer in meiner Gruppe zu wissen!

Und wie gehst Du damit um, wenn im Seminar bei Teilnehmern verletzliche oder Scham besetzte Gefühle auftauchen?
Ich gebe Raum: Alles ist freiwillig. Nichts muss sein.

Ich stelle Abwandlungen der Übung vor. Oder biete an, bequem in einer Ecke zu sein, wenn wir die Übung durchführen und dabei mit drängenden Gefühlen umzugehen: Ein Kissen zu kneten; Tagebuch zu schreiben, zu meditieren o.ä.

Hast Du nach dem Seminar etwas von Richard gehört?

Mehrere Emails tauschten wir aus und er meinte, auch 10 Tage danach noch gut vom Seminar her unterwegs zu sein. „Ich träume immer noch wildes Zeug. Manches kann ich einordnen, anderes nicht – aber das ordnet sich dann von selbst in den nächsten Tagen und Wochen ein. In ruhigen Momentan kommen immer noch Gefühle wie Trauer, Schmerz Angst und Einsamkeit hoch. Wie aus dem Nichts.“

Und hat das Seminar auch einen Einfluss auf die Beziehung zu seiner Freundin gehabt?

„Innerlich“, meint er, „ist klar, dass bei mir Wunden heilen und dadurch die Beziehung zu meiner Freundin schon jetzt deutlich tiefer, liebevoller und entspannter ist. Direkt nach dem Seminar habe ich wieder Liebe für sie gefühlt – die Wochen davor nicht mehr – und konnte ihr das auch zeigen. Danach haben wir uns zu allem möglichen Themen zwischen uns ausgesprochen und die Beziehung aufs nächste Level gebracht. Das kann ich zu hundert Prozent dem Seminar zuschreiben. Außerdem traue ich mich deutlich mehr, ihr meine weichen Seiten zu zeigen und zu ihnen zu stehen, was ich auch 100%ig dem Seminar zuschreiben kann.

Wow. das ist ja ein tolles Feedback. Und sollten die Männer irgendwelche Vorkenntnisse mitbringen, wenn sie zu Dir kommen?

Sie sollten bereits Gruppenerfahrung haben, gutes Selbstgefühl für die eigenen Grenzen haben. Die herausfordernde Angst soll mit der gleichzeitigen Erregung in einem guten, handelbaren Gleichgewicht sein. Und der Mann soll den Wunsch verspüren, die Teilnahme als Katalysator zu verwenden, um tiefere Themen zu berühren, jenseits des Alltäglichen.

Armin: Würdest Du sagen, dass gleichgeschlechtliche Begegnungen im Tantra ein Sahnehäubchen spiritueller Praxis sind?

Nein: Sie sollten im Tantra das Normalste vom Normalen sein. Meiner Meinung nach geht es im Tantra nicht um sexuelle Orientierungen oder Präferenzen, sondern um einen Raum jenseits davon. In einem schwul geleiteten Tantra Seminar kann m.E. der heterosexuelle Mann am besten Ekel, tiefsitzende Angst vor Kontrollverlust, Ohnmacht, Orientierungslosigkeit, Panik, Scham und andere tief verborgenen Gefühle erforschen und in den Raum jenseits sexueller Präferenzen vordringen.

Text: Armin Heining
Web: www.armin-heining.com

Heterosexuelle Männer im homosexuellen Tantra

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