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Sex und Bindung

Unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen aus der tantrischen Praxis

 

Vor kurzem machte meine Partnerin in unserem wöchentlichen Zwiegespräch zum Thema, dass sie vor einigen Wochen mit einem anderen Mann geschlafen hat, das erste Mal seit über einem Jahr.

Ihre Einleitung war die Reflexion ihres Prozesses damit, wann sie mir diese Mitteilung macht, und warum sie sie zunächst hinausgeschoben hat.

Wir kommen beide aus dem tantrischen Umfeld, und sie bezeichnet sich eher als polyamor, und ich als „offen in der Beziehung“.

Während ihrer Einleitung spürte ich vor allem Angst – vor dem Unbekannten, dass ich nicht einschätzen konnte. Sie wollte mir offensichtlich etwas Wichtiges mitteilen, und das hätte möglicherweise das Potential, mein Leben zu verändern. Meine Gewohnheit ist es, dann mit dem Worst-Case-Scenario in Kontakt zu gehen, und das wäre in diesem Fall das Ende der Beziehung.

Ich ging auch in Kontakt mit der Angst meiner Partnerin, mir diese Mitteilung zu machen, deren mögliche Folgen sie genauso wenig kontrollieren konnte, wie ich den Inhalt ihrer kommenden Mitteilung. Ich kenne diese Angst nur zu gut, denn ich muss sie selbst immer wieder überwinden, wenn ich ihr -vorher oder nachher- von meinen gelegentlichen Begegnungen mit anderen Frauen erzähle.

Natürlich löst es in mir Gefühle aus, wenn sie anderen Männern begegnet bzw. davon erzählt. Und ich konnte diese Gefühle spüren, ihr in die Augen schauen, mich ihr nah fühlen, und gleichzeitig eine tiefe Freude darüber empfinden, dass uns dieses reiche Leben möglich ist, das wir uns  gegenseitig schenken. Und indem ich alle diese Gefühle zuließ, und sie nur anschaute, erlaubte ich ihnen da zu sein, und nach einer Weile gingen sie von selbst wieder. „Sein mit dem, was ist“, dieser Satz meines Lehrers Alan Lowen begleitete mich dabei.

Aus der Offenheit und Wahrhaftigkeit, zu der wir uns nicht gegenseitig, sondern jeder selbst verpflichtet haben, ist ein tiefes Vertrauen entstanden. Sie bedrohen unsere Bindung nicht, sondern machen sie tiefer.

In dieses Vertrauen gekommen zu sein, ist vielleicht der wesentlichste Teil meines tantrischen Weges, und ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit dafür.

Es ist gewachsen in Workshops, in denen ich meinen alten Ängsten in vielen Facetten begegnete, in denen mir gelegentlich meine Schwächen vor versammelter Mannschaft um die Ohren gehauen wurden, und ich tiefe Scham empfand, in denen ich nächtelang wach im Bett saß, bis die aufgewühlten Gefühle und Ängste zur Ruhe kamen.

Und in denen ich all diese Gefühle nicht verstecken und unterdrücken musste, sondern hinausschreien, hinausweinen, und eben einfach – spüren durfte, ohne dafür verurteilt zu werden.

Es ist gewachsen im Leben, auch in einer äußerst schmerzhaften Trennung, deren Über- und Durchleben mich schließlich zu dem Mut führte, offen zu mir selbst zu stehen: Zu meinem Wunsch nach tiefer persönlicher Bindung ebenso wie nach gelegentlichen sexuellen Begegnungen mit anderen Frauen.

Bindung heißt für mich nicht mehr, die Partnerin an mich zu binden, sondern meine eigene Bindung an meine Entschlüsse, Commitments und Vereinbarungen. Meinen Entschluss, mit dieser einen Partnerin besonders und vor allem rückhaltlos in die Tiefe zu gehen. Mein Commitment, bei dieser Bindung zu bleiben, ihr Vorrang einzuräumen und einen wesentlichen Teil meiner Ressourcen zu widmen.

Bindung heißt für mich auch, mit mir selbst ver – bindlich zu sein, zu meinen Überzeugungen, Gefühlen, Ängsten, Wünschen, Sehnsüchten und Verrücktheiten zu stehen, und mein Handeln danach auszurichten.

Die Verlässlichkeit, die so entsteht, mit mir selbst und mit meiner Partnerin, führt in meiner Wahrnehmung fast wie von selbst zu einer immer weiteren Öffnung und Vertiefung unserer herzlichen und sinnlichen Verbindung. Unsere vielen und oft langen persönlichen Gespräche sind wesentlichster und integrativer Ausdruck davon.

Ich mag den Gedanken von Saleem Matthias Riek, die Geschlechterbeziehung in den drei Qualitäten Sex, Herz und Bindung zu betrachten, die sich nicht zwingend gegenseitig implizieren. In meiner Welt kann ich entscheiden, für welche der drei Qualitäten ich mich öffne. Es gibt für mich spontane Herz-Beziehungen, in denen Sex keine Rolle spielt, und Bindung eine Rolle spielen kann, aber nicht muss. Meine Beziehungen zu Männern haben oft diese Qualität, aber es gibt sie auch gegenüber Frauen.

Bei sexuellen Kontakten mache ich die Erfahrung, dass immer auch mein Herz beteiligt ist. Ich lasse das ganz bewusst zu, denn ich will alles fühlen, was es zu fühlen gibt. Und hinterher kann auch der Schmerz dazugehören, der sich gelegentlich einstellt, wenn eine tiefe sexuelle Begegnung einmalig bleibt, wie es manchmal in Tantra-Workshops geschieht. Genauso auch, wenn eine längere sexuelle Freundschaft endet.

Wahrhaftigkeit bedeutet hier für mich, Frauen, denen ich begegne, schon im Vorfeld mitzuteilen, was sie von mir erwarten können, und was nicht. Dies ist nicht immer leicht, und es erfordert Takt und Achtsamkeit, und das kann auch mal schiefgehen. Meine Haltung aber ist klar, auch mit dem Risiko, dass eine potentielle Begegnung dann abbricht. Ausgesprochen ist auch, dass meine Partnerin von der Begegnung bereits weiß, oder davon erfahren wird. Und auf diese Weise ist sie, zumindest in meinen Gedanken, bei den Begegnungen „mit im Boot“.

Bindung bedeutet hier für mich Klarheit bei der Verteilung meiner Ressourcen. Meine Möglichkeiten sind begrenzt, und die Priorität hat meine Partnerin. Diese Klarheit bedeutet immer wieder auch, nicht an der Süße einer Begegnung anzuhaften, sondern loszulassen, bisweilen auch schmerzhaft, um mir selbst treu zu bleiben.

Und schließlich und nicht zuletzt wird so auch Tiefe und echte Begegnung in äußerlich vielleicht kurzen und flüchtigen Begegnungen möglich. Denn wenn ich mich so zeige – mit meinen Überzeugungen, meiner Haltung, meiner Bindung – wenn ich nichts verstecke, wird echte Begegnung möglich. Es kann dann auch geschehen, dass es nicht zum Sex kommt, aber dass es auf andere Weise zu einer echten Begegnung zweier Menschen kommt, die sich gegenseitig ihre Wahrheit zeigen.

Nichts verstecken und Sein mit dem, was ist – hier schließt sich wieder der Kreis zu dem, was Tantra im Hinblick auf Sex und Bindung für mich bedeutet.

 

Text: Gereon Kamps

Webseite: www.prano-tantra.de

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Gereon Kamps

Gereon Kamps, 55, Physiker und im Hauptberuf Software-Ingenieur, beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit Meditation, Tantra, und der Verbindung von Naturwissenschaft und Spiritualität. Seine Lehrer waren und sind primär Alan Lowen, sowie Saleem Matthias Riek, Spersa Kreis und andere. Er assistiert regelmäßig im Institut seiner Partnerin www.prano-tantra.de

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