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Ist der Tantralehrer für eine sexuelle Interaktion mit seinen Schülern tabu oder eignet er sich quasi als sexueller Dienstleister oder auch privater Sexualpartner? 
Das ist für mich eine Frage, die ich aus der Erfahrung, Beobachtung und aus dem Bauch heraus für mich sehr eindeutig beantworten kann. Im Großen und Ganzen ist er nicht besonders gut geeignet, aus ganz vielen verschiedenen, menschlichen Gründen und nur in 3 Ausnahmefällen lockern sich für mich die Bedingungen für eine Begegnung zwischen Lehrer und Schüler, so dass eine ernsthafte, absichtslose und bedingungslose Zuwendung sexueller und liebevoller Natur im Mittelpunkt stehen darf.

Es menschelt so sehr, sobald die persönliche, individuelle Sexualität ins Spiel kommt. 
Davon ist auch der Tantralehrer nicht ausgenommen, im Gegenteil. So mancher bleibt ein Leben lang deshalb im tantrischen Umfeld, um sich selbst immer wieder prozessbelastet zu entwickeln, teilzunehmen und zu wachsen durch Coaching und Ritual.
Frech aus dem Fenster gelehnt sind wir also – trotz des professionellen Umgangs mit Inhalten aus Spiritualität und Sexualität – in manchem Sitzenbleiber, die ihre Schritte lebenslänglich machen wollen, aber ist das die Voraussetzung selbst Akteur seines eigenen Unterrichts zu sein?
Anvertraute Menschen sind meiner Meinung nach keine experimentelle Gruppe eigener Angelegenheiten.

Nehmen wir einmal an, wir könnten den Prototypen eines Unterrichtenden kreieren, dem es gelingen würde, die eigenen Geschichten, Wünsche, Bedürftigkeiten und Selbstbestätigungen in der privaten Begegnung mit dem Schüler und Teilnehmenden seines Unterrichts außen vor zu lassen. (Was ich nicht für realistisch halte, denn in all den Jahren ist mir keiner begegnet, auf den das zutreffen könnte.)
Der Lehrer wäre also in einem Zustand angekommen, der ihn in der fragwürdigen Höhe des Absoluten und Überpersönlichen schon aus dem Raster der Begehrlichkeiten fallen lässt – so wäre da immer noch der Schüler.
Er gewinnt in seinen Prozessen, Projektionen und Hoffnungen, Abwehrreaktionen, Widerständen und Abhängigkeiten größere Sicherheit durch einen neutralen Begleiter und braucht keinen sexuellen Guru, von dem er sich abhängig machen oder den er aufs Podest setzen und wieder hinabstürzen soll, um mit sich und seinen Dingen gelungene Schritte machen zu können. 
Dies gelingt ihm bestenfalls mit Arschengeln, Steigbügeln und Spiegeln seiner Sangha – mit gleichgesinnten Übungsbegleitern in der Praxis und einer leitenden Person als Halter der Energie und Bezeuger des heilenden Geschehens.
Sein Lehrer hat hierbei eine andere, eigene Rolle – er leitet an und betreut – nichts anderes.
Kein energetisches Ping-Pong, sondern klare Regeln und eindeutige Botschaften.

Es braucht die Meisterleistung des Lehrers auf dem schmalen Grat zwischen menschlicher Augenhöhe und Vorbildfunktion, in freundschaftlicher Haltung, wohlwollender Zugewandtheit und bedingungsloser Liebe, wie auch umfassendem Respekt, unerschütterlicher Neutralität und von Verfehlungen unbeeindruckter Gleich-Gültigkeit, ohne selbstbezogene Vorteilsaneignung oder Erfüllung eigener Bedürfnisse da zu sein und zu handeln.
Als Fels in der Brandung auch dann Befindlichkeiten in neotantrischen Übungen und Ritualen in Ruhe betrachten zu können, wenn es prozessbedingt emotional hoch her geht oder drohende Störungen und Konsequenzen einen klaren Kopf benötigen.
Von zweien braucht es einen, der nicht mitmacht, wenn das Drama naht.

Ich habe viele gesehen von den vermeintlichen Lösungen wie man mit der Option herannahender Geilheit/ Sexualität und Verliebtheit/ Liebe als Unterrichtender umgehen kann und möchte hier weder ein Plädoyer für enthaltsame Prüderie der Übervorsicht halten noch für die Ergreifung hedonistischer Bedürfnisbefriedigung werben.
Das Leben ist eh größer als alles, was ich mir an Bedenken oder Argumenten erdenken kann und selbst wem noch nie ein Mensch begegnet ist, mit dem er gerne von Herzen mehr angefangen hätte, sollte es mit dem Werten und Richten von Situationen nicht übertreiben, bei dem er nicht in den Mokassins der Betroffenen geht. 
Sollen sie also ruhig Hochzeit ihrer Liebe und Leiber in den Abgründen freudiger Tabulosigkeit feiern, die Ärzte und Patienten, Priester und Diakone, Ausbilder und Schüler – darum geht es hier nicht.

Tantra ist und bleibt Reizthema dessen, was sich lustvoll befreiend nicht gehört – es geht hier um meinen berechtigten Zweifel daran, welche interaktive Art von Beziehung in Unterricht und Ritual für alle förderlich bleibt, wenn es zur Regel wird.
Denn um Disziplin und Regelwerk kommen wir ja im modernen Tantra nicht drum rum – gerade bei aller Liebe und erhoffter Freiheit, die sich nun mal in der selbstermächtigenden, bewussten Entscheidung zeigen.
Dies schließt den Deal um eigene Heilung unter Zuhilfenahme von Beziehungen mit Teilnehmenden für mich aus, weil dabei Verlustangst, Bedürftigkeit, Gier, Selbstverbrämung und ähnlich dämonische Verhaltenstriebfedern des Lehrers zum Zuge kommen, die in dem was der Teilnehmende einkauft nichts zu suchen haben.
Es geht dabei um den Lernenden, nicht um das Ausnutzen einer fragwürdigen Machtstellung und Missbrauchsgelegenheit von vielleicht sogar in diesem Moment vom Lehrer noch im Lernprozess vertrauensvoll abhängigen Menschen.

Im Umgang mit der Versuchung zeigt und erfährt sich der Lehrer mehr oder weniger von der Seite seiner Verletzlichkeit, Ungeheiltheit und hoffentlich auch in Selbsterkenntnis.
In der emotionsbedingten Änderung seiner angedachten Rolle des Leiters wird er aber unausweichlich in jedem Fall privat, gleich ob beim Sturz in den Abgrund der Lüste oder beim Rückzug aus jeglicher Gefahrenzone.
Er gibt seine Neutralität gegenüber dem Teilnehmer auf zugunsten seiner überwältigenden, verliebten Befindlichkeit oder auch berechnend-gerechtfertigten Selbstversorgung.

Der eine verliebte Tantralehrer nimmt die ebenso verliebte Teilnehmerin sofort aus seinen Seminaren heraus und verbittet sich strikt Spekulationen und Verstrickungen.
Der andere genießt es beim Demonstrieren wenigstens ab und an von der schönen Assistenz berührt zu werden, ehe ihn daheim mal wieder gar keine Berührung erwartet.
Der dritte stürzt sich ins Hand- und Geschlechtergemenge der Orgie und ist froh, dass ihm die Versuchung geboten wird und er ihr immer wieder nachgeben kann, auch wenn es doch eigentlich grade nicht um ihn, sondern um die anderen, die ihm anvertrauten Menschen, gehen sollte.
Wie nett also, wenn sich Geld verdienen, einem spirituellen Auftrag der Berufung folgen und sexuell wie emotional ganz privat genießen, so krass vereinen lassen, … nur zu wessen Lasten passiert das?

Sollte sich jemand daran stören, dass ich hier eine männliche Form des Lehrers gewählt habe, es gilt selbstverständlich für beide Geschlechter, obwohl ich meine Beobachtungen tatsächlich auf Männer beziehe. Vielleicht agieren Frauen anders, haben andere Herausforderungen oder stellen sich einfach geschickter an, sich von mir nicht beim Naschen erwischen zu lassen. 🙂

Wie also umgehen mit der Situation, wenn sich etwas anbahnt zwischen einem, der eigentlich den hohen Auftrag und seinen Energieausgleich bekommt dem andern auf die Sprünge zu helfen, aber stattdessen der süßen Versuchung erliegt und demjenigen, der sich eigentlich selbst befreien will und sich dann in den liebenden Armen oder bedürftigen Fängen seines Lehrers wiederfindet?

Ich finde, alles halb so tragisch, wenn die Bewusstheit darüber noch da ist und eben nichts schamhaft vertuscht, unter den Teppich gekehrt, als ein super Mittel zum Prozess des Teilnehmenden schöngeredet oder gar zum selbstgefälligen Missbrauch genutzt wird.
So lange es im für beide einverständig-angenehmen Rahmen der Freiwilligkeit geschieht und es keine Opfer gibt, muss es mir tantrisch-ethisch keiner recht machen, warum auch.
Man kann sein Geld auch so ausgeben oder verdienen und sich dabei berufen fühlen zur offenen Begleitung auf Gegenseitigkeit. 
Das setzt voraus, dass beide die Größe zum ehrlichen Austausch mitbringen und der Lehrer ab dann aufs Lehrersein verzichtet. Der geliebten Person nicht die Begegnung mit dem Halbgott vorflunkert, sich womöglich selbst vom Schüler therapieren lässt oder sich regelmäßig Engelchen ins Bett holt und sein Ego damit verbrämt.
Lernen durch die Einhaltung dieser einfachen Regel dann hoffentlich beide fürs Leben daraus, denn alles eignet sich zum Wachstum, auch Dinge, die mir persönlich nicht gefallen.

Ist doch prima, wenn wir alle Menschen sind und nicht zu Erleuchteten hochstilisiert werden. 

Ich finde das sehr befreiend, den eigenen Schülern mitzugeben, dass wir alle genauso confused sind nur manche on a much higher level.
Ich bin nicht daran interessiert, eine Ikone abzugeben aber genauso wenig möchte ich mich als bedürftig erfahren, erkennen, dass ich meine Hausaufgaben nicht gemacht habe, sondern mich dort abreagiere, wo meine eigenen Prozesse gerade nicht im Vordergrund stehen und meine Entscheidungen auch nicht so getroffen werden sollten, dass ich mich selbst bediene.
Alles ist immer wieder herausfordernd, sonst wäre der tantrische Weg hier irgendwann zu Ende.

Ich möchte ehrlich damit umgehen dürfen, was geschieht, weder Verliebtheit unterdrücken noch mich für Lust schämen, sondern ganz im Gegenteil.
Es ist doch das Herzstück einer spirituell-sexuellen Entwicklung freudig und ehrlich mit allen ein verbundenes Wesen des Himmels und der Erde zu sein.

Daher gibt es in diesem Fall für mich nur eine Lösung: 
Gruppenleiter, mach deine Hausaufgaben! 
Lass nicht zu, dass dein Zögling deine willige Beute werden muss und bleibe auch soweit auf dem Boden, dass dein Menschsein für die andern ein Vorbild werden darf. 
Hebe nicht ab und falle auch nicht tief. Bleibe in der Mitte deiner freudigen Gelassenheit.
Komme auch du weder hungrig an den Tisch des Rituals, noch bedürftig in deinen Unterricht.
Dann kannst du auch dem Wunder der Liebe so begegnen wie deine geliebten Menschen und Du das freudig bejahen und leben dürfen, ganz ohne schlechtes Gewissen, Wiederholungszwang oder Machtmissbrauch.
Zeige deinen Schülern wie auch deinen besonders geliebten Menschen, wie man Mensch ist, aufsteht wenn man hingefallen ist, was man mit herausgebrochenen Zacken einer Krone alles Schönes basteln kann und dass das Mensch sein ein Segen ist und keine Bürde, dir man nur dadurch überwindet, eine Lehrermaschine zu sein.

Erlaube dir, die Souveränität, stark und schwach sein zu können, ohne dich dafür schämen zu müssen. Sei in echter Verbindung und mache im Falle deiner Entgleisung dir und dem anderen nichts vor.
Dann können wir da auch gelassen im Einzelfall drauf schauen und jedem Menschen die individuelle Liebe zugestehen, auch in den seltsamsten Situationen, in denen sie sich zeigen mag und nicht unbeherrscht und unbewusst aus der Kutte springen zum womöglich unpassendsten aller Zeitpunkte.
Ach ja, die drei Ausnahmen, die ich gefunden habe, unter denen der Lehrer als Sexualpartner ins Spiel kommen darf – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Eine oben bereits erwähnte, sehr unrealistische Möglichkeit, in der sein eigener Zustand als Meister so heilig erleuchtet ist, dass er die Schäfchen zu sich kommen lassen kann, ohne seine eigenen Befindlichkeitsstürme zu durchleben durch die Involviertheit sexueller Verstrickung und egozentrischen Ausbrüche über die seines Teilnehmers stellen zu müssen.  Der wiederum seinen Lehrer auch so sehen kann und sich seinerseits nicht an ihn klammert, sondern ihn erkennt. 
Hab ich aber so noch nie als Medium und Katalysator für Sexuelles von Unterrichtenden erfahren. 🙂

Zur zweiten, wenn sich der Lehrer als bewusst eingesetzter Surrogatpartner versteht, jegliches rituell-sexuelle Zusammensein vorab so besprochen wird und in dieser Konstellation klar ist, dass dem Zusammensein nicht die Selbstoptimierung des Lehrers zu Grunde liegt, sondern er sich erfahren und wohlwollend der Entwicklung des Schülers zur Verfügung stellen kann, ohne dass es im Anschluss zum Austausch von privaten, sexuellen Handlungen mit anvertrauten, abhängigen Personen kommt. Unsere Gesetzgebung bezeichnet ein solches Arrangement als Prostitution.

Die dritte und für mich schönste Möglichkeit der Ausnahme ist die Auflösung einer initiationsbedingten Hierarchie, der Verfall des Lehrer-Schüler-Gefälles generell.
Zu einem guten Unterricht und der Unterstützung der Selbstermächtigung des Schülers gehört der Vorsprung des Lehrers, der ihm hilft Erkenntnisse und Übungen an seinen Schüler weiterzugeben. Solange ist die Beziehung der beiden nicht primär aufeinander bezogen, sondern ist dem Blick in die gleiche Richtung gewidmet.

Diese Distanz darf und muss schrumpfen, wenn der Adept zum verantwortlichen Wira wird und der Lehrer nichts zurückhält, sondern alles gibt, was er geben kann.
Wenn der Abstand zum Lehrer sich so verringert, dass beide bemerken, wie sie nach und nach auf Augenhöhe in Entwicklung, Erkenntnis und Begegnung ankommen können, so bedingt sich ein liebevolles, tantrisches Einlassen aufeinander fast von selbst, wenn die Liebe und die tantrischen Grundsätze echt sind. 
Es entwickelt sich eine persönliche Beziehung oder ein Ankommen in der gleichen Sangha.

Im Roten Tantra heißt es schließlich „Es soll (als Ziel) mit jedem gehen“.
Wer würde unter diesem Leitgedanken die Liebe ausgerechnet da nicht leben wollen, wo sie sich uns freudig und zielführend anbietet.
Tat tvam asi, aham asmi – dann erreicht der Blick und die Möglichkeit in spiritueller Entwicklung für beide eine höhere Stufe der Heilung. 🙏🏼


Text: Michaela Faridéh, Januar 2024

Webseite: http://www.animatantra.de/

Sex mit dem Meister?
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Michaela Faridéh

Michaela Faridéh ist Jahrgang 1967, Sternzeichen Schütze, Aszendent Skorpion, ganzheitliche Schönheitsberaterin und Tantralehrerin mit vielfältigen Ausbildungen im soliden Handwerk. Seit 2006 mit der Beratung ANIMA*PROJEKT spezialisiert auf die Belange transvestitischer und transidenter Menschen. Ausbildung zur Befree- und Tantralehrerin nach Andro, selbständiges tantrisches Arbeiten unter eigenem Namen (Abende, Seminare, Partyveranstaltungen, angeleitete Rituale und Massagen) im ANIMA*HAUS für gemischte Gruppen, Paare, Frauen, Männer und transidente Menschen. Verbindendes Zusammenarbeiten der verschiedenen tantrischen Richtungen im Sinne des eigenen Erlebens und Wirkens im ANIMA*HAUS sind ihr wichtig.

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One thought on “Sex mit dem Meister?

  • 28. Mai 2024 um 14:48
    Permalink

    Gut geschrieben!
    ISTA macht seit 2 Jahren eine harte Zeit durch, diese Trennung zwischen Lehrer, Assistenten und Teilnehmern durchzusetzen, im innen wie im aussen.
    Grosse Lehrer wie David Deida stossen auch an ihre Grenzen, ob er sie halten kann, weiss ich persönlich nicht.
    Am Ende ist für mich glasklar, bei aller Freude und aller Lust, würde ich mich als Tantralehrer wohl nie auf solches einlassen, bin dankbar, dass das bisher so natürlich in mir verankert ist. 🙏

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