Du hast mich verzaubert!
(Sexual-)Magie nennen wir etwas, das wir nicht verstehen
Seit ich den „tantrischen Weg“ beschritten habe, bekomme ich des Öfteren diesen Satz „Du hast mich verzaubert!“ oder ähnliche, wie „Was hast Du mit mir gemacht?“ zu hören. Tatsächlich wird den Tantrikern schon mal nachgesagt, dass sie über Zauberkräfte verfügten. Dieser zweifelhafte Nimbus rückt Tantra und die Ausübenden bisweilen in eine Nische. Denn wer zaubern kann, der kann auch manipulieren oder gar hypnotische Suggestionen in willenlose Opfer einpflanzen.
Es ist verständlich, dass Zauberei, Magie und besonders Sexualmagie Ängste und Missbilligung in jenen Menschen schüren, die diese Vorgänge nicht verstehen oder aufgrund moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Zugehörigkeiten aus Prinzip ablehnen müssen. Aus diesen Gründen sind die Ausübenden – mit Ausnahme von Show-Zauberern – meist in den Untergrund geflüchtet, haben Geheimgesellschaften gegründet oder sich nur nachts an unzugänglichen Orten getroffen. All das fördert ein Nischendasein umso mehr.
Nun verdanken wir dem glücklichen Umstand im 21. Jahrhundert zu leben, dass wir Zugang zu allen möglichen Informationen haben und die Naturwissenschaft mittlerweile viele Phänomene erklären kann, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch rätselhaft waren. „Alles, was die Wissenschaftler in Nachahmung der Natur oder, um ihr zu helfen, mit Hilfe einer unbekannten Kunst vollbringen, wird Magie genannt. Denn Technologie wird immer als Magie bezeichnet, bevor sie verstanden wird, und nach einer gewissen Zeit entwickelt sie sich zu einer normalen Wissenschaft.“ [Tommaso Campanella (1568–1639)]
Tantrische Sexualmagie
Was ist unter dem Begriff „Tantrische Sexualmagie“ zu verstehen? Und welche Gründe könnte es geben, die Ausübenden, Lehrer und Schüler in ein Nischendasein zu verdammen? Besonders im christlich geprägten Mitteleuropa waren freie Sexualität und Magie Teufelswerk. Die Zeiten der Hexenverbrennungen geben reichlich Zeugnis von der Ausgrenzung, welche Sexualität und die Kenntnis magischer Vorgänge zur Folge hatten.
Wenn wir davon ausgehen, dass das Wort Magie zurückgeht auf das altgriechische μάγος mágos „Weiser“, so können wir sagen, dass ein Magier ein Mensch ist, der Zugang zu einem Wissen hat, das nicht allen Menschen zur Verfügung steht. Im tantrischen Ritual verbinden wir uns symbolisch mit „dem Größeren“, also einer höheren Weisheit. In Verbindung mit weiteren rituellen Handlungen, wie dem OM-Gruß, strukturierter Kommunikation, bewusstem Atem und einer meditativen Gesamthaltung verändern wir unseren Bewusstseinszustand und befinden uns somit auf bzw. in einem „magischem Feld“.
Sexualität ist die stärkste Lebenskraft überhaupt. Denn sie bewirkt unter anderem, dass die Menschheit weiterlebt, Generation um Generation. Hätte Sexualität keine Wirkkraft, würde die Menschheit aussterben. Im sexuellen Akt wird ein reicher Cocktail von Hormonen freigesetzt: Dopamin vermittelt das Gefühl des „Höhenfluges“, Oxytocin erzeugt einen Glücksrausch. Diese und andere Botenstoffe wirken antidepressiv, schmerzstillend, stressabbauend, immunisierend und natürlich entspannend. Das Wichtigste dabei ist, dass der Mensch die hohe orgiastische Energie auf seine Ziele und Wünsche fokussieren kann.
Die Energie folgt der Aufmerksamkeit
Wenn ich also die hohe Energie im orgiastischen Zustand auf meine Ziele und Wünsche lenke, erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich tatsächlich im Außen manifestieren um ein Vielfaches. Sexualmagie dient also nicht primär der Verbesserung des Sexuallebens (was natürlich ein „Nebeneffekt“ sein kann). Im Gegenteil: die ritualisierte Vereinigung macht sich die „magische“ Energie der Sexualität zunutze, um Veränderungen im Außen zu unterstützen. Ob diese Energie allein, zu zweit oder in einem Gruppenkontext gerufen wird ist dabei unerheblich.
Nun unterscheiden die Menschen zwischen „weißer“ und „schwarzer“ Magie. Damit meinen sie die Intention der Wirkung. Weiß ist gut und positiv, schwarz ist böse und negativ. Diese Unterscheidung kommt im Wesentlichen durch individuelle Bewertung zustande. Was mir nutzt wird positiv und was mir schadet als negativ angesehen. Was dem einen sein Nutzen, kann dem anderen sein Schaden sein. Auch hier ist die Qualität der Auswirkung immer eine Frage des Standpunktes.
(Tantrische) Etikette
Der Begriff „Schwarzmagier“ oder die Unterstellung Sexualmagie im Sinne des eigenen Vorteils auszuüben ist meist aus den Mündern jener Menschen zu hören, die sich benachteiligt fühlen. Aus ihren Vorwürfen sprechen oft Angst und Unsicherheit gepaart mit Neid und Missgunst, mitunter auch die eigene unterdrückte Wollust.
Ich fühle mich weder als Sexualmagier noch als Guru oder Erleuchteter. Mein Credo ist liebevolle, achtsame und respektvolle Präsenz für mein Gegenüber. Bewusstes Zuhören, Anteilnahme (ohne Mitleid) und ehrliches Interesse erzeugen im Gegenüber ein Gefühl des bedingungslosen Angenommen-Seins und womöglich Geliebt-Seins. Den persönlichen Raum des anderen zu achten und nur auf ausdrückliche Einladung zu betreten, geben Sicherheit und Geborgenheit. Mit dieser Einstellung bekomme ich dann schon mal zu hören: „Was hast Du mit mir gemacht? Ich fühle mich so gesehen. Als würden wir uns schon ewig kennen.“
Text: Klaus Gabriel Peill
Webseite: www.quinta-essentia.de