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Was verstehen wir überhaupt unter den Schattenseiten?

In der Natur:

Nach den Gesetzen der Optik wirft jedes Objekt einen Schatten, sobald es sich innerhalb eines Lichtkegels befindet. Nur in absoluter Dunkelheit gibt es keinen Schatten.

Doch selbst an Orten absoluter Finsternis, wie in der Tiefsee oder in Höhlen, gib es Leben! 

Viele Tiefseefische besitzen Leuchtorgane in denen durch chemische Reaktionen Licht erzeugt wird. Ebenso ist dies bei höhlenbewohnenden Tieren beobachtet worden. Vielleicht möchte sich das Leben irgendwie durch Licht bemerkbar machen? Selbst wenn die Dunkelheit vollkommen ist?

In der Literatur:

Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Geschichte „Peter Schlemihl“ von Adelbert von Camisso. Es ist die Erzählung eines Mannes, der seinen Schatten für Gold verkauft. Sehr bald bemerkt er mit Schrecken, dass dieser Handel den Ausschluss aus der menschlichen Gesellschaft bedeutet. Der Teufel will ihm seinen Schatten zurückgeben. Allerdings fordert er dafür seine Seele. Am Ende bleibt Peter Schlemihl nur ein Leben in Einsamkeit.

Im Märchen:

Der Schatten taucht  in Gestalt der bösen Stiefmutter, falschen Königin, Nebenbuhlerin, des Drachen, dunklen Ritters oder ähnlicher Erscheinung auf.  Der Held oder die Heldin muss sich mit dieser Figur auseinandersetzen damit die Rolle des Guten gelebt werden kann.

In der Psychologie:

Der Schatten steht für einen wesentlichen Persönlichkeitsanteil eines Menschen und zugleich auch für einen Aspekt des kollektiven Unbewussten. Gerade aus den Schattenseiten können Entwicklungsimpulse für positiven Lebenswandel kommen, meint die Psychologie. 

Alles nichts Schlimmes. Warum werden die Schattenseiten dennoch vehement verdrängt? 

Weil sie nicht als gesellschaftskonform gelten, mit Verboten belegt sind oder gegen bestimmte Erwartungen verstoßen. Anders als im Märchen setzen wir uns selten mit unserem Schatten auseinander. Der Schatten bewahrt jedoch weiterhin im Verborgenen seine normalen Instinkte, seine eigenen Wahrnehmungen und zweckmäßigen Impulse. Unsere Schattenseiten sind  ein Teil von uns.

Mir stellen sich bei diesen Überlegungen Fragen:

  • Was ist an unseren Schattenseiten so schlecht, dass wir sie verleugnen müssen? 
  • Sind unsere Schattenseiten nicht sogar die ehrlichere Seite unserer Persönlichkeit?
  • Sollten wir für mehr Licht, mehr Klarheit sorgen, damit der Schatten deutlicher wird?
  • Mit welchen Schatten geht mein Leben einher und wie stehe ich dazu?

Bei einem Silvestertantra zog ich die Tarotkarte „Der Mond“. In der Beschreibung dazu steht unter anderem: „Gib deinen Nachtseiten Raum, ohne dich ihnen auszuliefern. Lerne die Fremden in der Nacht näher kennen. Nimm deine Wünsche und Ängste ernst und fange damit etwas an.“

Oh ja! Zumindest eine meiner Nachtseiten habe ich wirklich näher kennengelernt als ich etwa drei Jahre in der sadomasochistischen Szene zugebracht habe. Dies ist eine wirklich sehr verborgen gelebte Welt. Dein Nachbar, dein Arbeitskollege, der Vereinsfreund, jeder könnte ebenso darin zugange sein. Du würdest es nicht merken in der alltäglichen Begegnung. 

Ich habe in dieser anderen Welt aufrichtige Wertschätzung erlebt, konnte Frau sein und authentisch. Doch genauso oft gab es Enttäuschungen, nicht eingehaltene Verabredungen, Neid und Missgunst. Leider sind mir auch Menschen mit Suchtverhalten begegnet. 

Glücklicherweise habe ich mich nicht diesen Nachtseiten ausgeliefert. Mir hat diese Welt mein verloren gegangenes Körperbewusstsein zurückgegeben. Ich nahm meinen Körper Stück für Stück wieder als Ganzes wahr, wurde meiner Defizite bewusst und dies öffnete mir folgerichtig den Weg zum Tantra. 

Aber ist Tantra selbst nicht auch eine gelebte Nachtseite? Masseurinnen möchten anonym bleiben und deren Gäste sowieso. Wer erzählt schon im Bekannten- oder Freundeskreis von seinem neulich besuchten Tantraseminar? Vielleicht gar noch mit einiger Begeisterung?

Warum schämen wir uns dermaßen vor unseren Nacht- oder Schattenseiten? Leben wir nicht in einer aufgeklärten, fortschrittlichen, freiheitlichen Gesellschaft? Sowohl Tantra als auch Sadomasochismus sind gesetzeskonform.

Was kann nun Tantra im Umgang mit unseren Schattenseiten bewirken? 

Auf den ersten Impuls dieser Überlegungen hin möchte ich antworten:  Nichts! Jeder darf geheim ausleben, was er oder sie im Unterbewussten plagt. Ob im Tantra oder anderswie. 

Meine Gedanken drehen sich im Kreise, je länger ich darüber nachdenke. So sei an dieser Stelle ein Zitat aus meinem Buch aus der Zeit in der Schattenwelt des Sadomasochismus eingefügt.

„Ich will in diesen Momenten alles vergessen können und nur noch im Hier und Jetzt dieser verborgenen Welt existieren, um Kraft und Energie zu schöpfen für die Herausforderungen der realen Welt. Geht der Weg eines fernen Tages anders weiter? Die erlebten Abenteuer bewirkten in Körper und Seele eine Art Dammbruch. Die über Jahrzehnte angestauten sexuellen Energien, unerfüllten Sehnsüchte und zerronnenen Hoffnungen verschafften sich massiv Gehör. Energien, fehlgeleitet durch Pflichten, Regeln und Erwartungshaltungen anderer Menschen, suchen sich neue Bahnen und Betätigungsfelder. Das körperliche und seelische Leben beginnt zu fließen, die Blockaden lösen sich allmählich auf und das Bewusstsein beginnt den eigenen Körper auf einer neuen Ebene wahrzunehmen.“ 

Ellinor Ehrhardt: „mySpanking – Verrückte Wechseljahre“, Epilog S. 473

Hurra! Damit sind doch noch Antworten gefunden:

  • Tantra sorgt für Licht, so dass die Schatten deutlicher werden, ehrlicher und klarer.
  • Tantra gibt Raum für die Auseinandersetzung mit seinem Schatten.
  • Tantra begleitet den Suchenden, damit dieser sich nicht in den Nachtseiten verliert. 
  • Tantra lässt Saiten erklingen in der Seele.

In meinen dunkelsten Stunden kaufte ich mir eine Ukulele und entlockte ihr leise Töne.

In meinen Gedanken kehrte allmählich Frieden ein.

In meiner Seele klingen die Saiten weiter gegen die Ängste und Ungewissheiten.

Ich muss meinen Schatten nicht verleugnen.

Ich darf meine Schattenseiten annehmen. 

Danke Tantra!

Text: Petra L. alias Ellinor Ehrhardt (Pseudonym)

Website: http://e.ehrhardt.pageonpage.com/

Unsere Schattenseiten! Das sagt sich so leicht!
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