Soll Tantra Teil des Gesundheitswesens werden?
Slowsex-Trainings und Ganzkörperorgasmen auf Krankenschein? Du gehst mit deiner Ejaculatio Praecox zum Urologen und bekommst ein Rezept über 8 x Tantramassage ohne Klimax (aber bis kurz davor …) in Kombination mit Atemtherapie und Osteopathie. Die Gynäkologin verschreibt bei rezidivierenden Blasenentzündungen nach sexuellem Kontakt ein Yoniei in der passenden Größe in Verbindung mit Schoßraumarbeit und einem Achtsamkeits-Seminar zum Thema Grenzen. Bei sozialer Phobie gegenüber dem anderen Geschlecht (früher hieß das Schüchternheit) kommt ein Tantra-Jahrestraining zur Anwendung, alles mit 10-20% Selbstbehalt.
Klingt zunächst abstrus, bei näherer Betrachtung und für einen offenen Geist aber durchaus verlockend, käme doch darin ein ganzheitlicheres und höchst sexualfreundliches Gesundheitsverständnis zum Ausdruck. Tatsächlich schicken schon heute nicht wenige Ärztinnen und Therapeuten ihre Klienten (ihre weniger aufgeschlossenen Kollegen nennen sie noch Patienten) ganz offen zum Tantra. Ganz offen? Nein, öffentlich oder auch nur im Kollegenkreis geben das nur wenige zu. Einige mir persönlich bekannte Therapeutinnen verrieten mir warum: „Dann bin ich unten durch. Tantra gilt als unwissenschaftlich und unseriös, um es mal vorsichtig auszudrücken.“
Wird Tantra das Yoga von morgen?
Sollten wir, die wir in irgendeiner Weise auf dem Hintergrund von Tantra arbeiten, uns also darum bemühen, unsere Seriosität unter Beweis zu stellen? Ich höre immer wieder Kollegen, die davon träumen, dass Tantra bald so anerkannt sein könnte wie heute bereits Yoga. Die Analogie ist vielversprechend, fristete doch auch Yoga mal ein ähnliches Nischendasein wie heute das Tantra. Und Yogakurse sind längst im Leistungskatalog von Krankenkassen zu finden.
Doch der Vergleich hinkt, wir vergessen die Brisanz von … Sex. Wie wir beim neuen Prostitutionsschutzgesetz sehen können, geht so ein von manchen Politikerinnen wahrscheinlich gut gemeinter Gesetzesvorstoß nach hinten los, weil die Scheuklappen gegenüber sexuellen Phänomenen, die man nur vom Hörensagen kennt, die Sicht extrem einengen. Die Betroffenen selbst wurden nicht ernst genommen, sondern entmündigt. Würde uns das anders gehen?
Ich habe vor Jahren die Gelegenheit bekommen, meine Seriosität als Tantra praktizierender Heilpraktiker vor Gericht unter Beweis zu stellen, und zwar durchaus erfolgreich. Der vorsitzende Richter fragte mich damals, wie ich ihn im Falle einer Potenzstörung behandeln würde. Meine durchaus nicht schulmedizinische Antwort ließ er gelten. Mag sein, dass es solche coolen Richter nur in der selbsternannten Öko- und Spiri-Hauptstadt Freiburg gibt, im Ergebnis bekam ich mit meiner Therapieauffassung weitgehend recht, meine Tantra-Jahrestrainings sind seither wieder als Heilkunde von der Mehrwertsteuer befreit. Ich muss heute noch grinsen, wenn ich das Gesicht der unterlegenen Vertreterin des Finanzamtes bei der Urteilsverkündung vor mir sehe und hoffe für sie, dass sich ihre Schnappatmung inzwischen gelegt hat. Sie war schlicht fassungslos, dass SOWAS als Heilkunde durchgehen soll.*
Wer befindet die über Qualität tantrischer Arbeit?
Für mich war dieser über viele Jahre geführte Rechtsstreit nicht nur ein finanzieller (Teil-) Erfolg, sondern auch ein wichtiger persönlicher Lern- und Entwicklungsprozess. Doch noch bevor das Urteil gesprochen wurde, hatte ich eine innere Entscheidung getroffen: Nie wieder werde ich dem Urteil von Ämtern und Institutionen die Kompetenz einräumen, über die tatsächliche Qualität meiner Arbeit zu befinden. Die Mehrwertsteuerbefreiung können sie mir nehmen, nicht aber meinen Selbstrespekt. Die Vorurteile gegenüber erstens alternativer Heilkunde, zweitens Spiritualität und drittens einer die Sexualität grundsätzlich bejahenden und einbeziehenden Vorgehensweise sind heutzutage immer noch viel zu groß, als dass hier auch nur ein Hauch von Verständnis oder gar Objektivität (sollte es die überhaupt geben …) zu erwarten wäre. Ich habe vor allem Glück gehabt.
Hüten wir uns also davor, uns der Politik anzudienen in dem Wunsch, von dort Unterstützung und Anerkennung zu erhalten! Seien wir froh, dass und wieviel Freiheit wir haben, Tantra zu praktizieren, – ein Blick in andere Länder öffnet uns dafür die Augen. Ich gebe zu, dass Prostitutionsschutzgesetz ist eine harte Nuss für alle, die Tantramassagen anbieten, gar nicht zu sprechen von den vielen anderen, die direkt mit erotischem oder sexuellem Kontakt arbeiten. Es gehört dringend verändert. Aber machen wir nicht alles noch schlimmer, wenn wir staatliche Reglementierungen für die Ausübung von Tantra herausfordern, die unweigerlich mit einer offiziellen Anerkennung im Gesundheitswesen einhergehen würden?
Tantrische Kontroversen
Tantra war meines Wissens nach nie besonders gesellschaftskonform, ganz im Gegenteil. Sich nicht anzupassen und zugleich nicht in der Revolte stecken zu bleiben, erfordert den Mut, zu sich selbst zu stehen. Vielleicht gehört die Fähigkeit, Anerkennung nicht primär im Außen zu suchen, sondern in uns selbst, zu einem Kernbestandteil tantrischer Philosophie. Doch darin liegt auch eine Gefahr: die der Selbstgerechtigkeit, der Immunisierung gegenüber Kritik.
In unserem tantrischen Verständnis und Selbstbewusstsein können wir uns noch weit besser gegenseitig unterstützen als bisher, nicht zuletzt durch persönliche Vernetzung und inhaltlichen Austausch. Letzterer darf – oder muss? – auch kontrovers sein. Unsere Gemeinsamkeiten, aber auch unsere Differenzen offen zu legen und uns selbst und einander zu hinterfragen, darin sehe ich ein wichtiges Element für die Qualität und Entwicklung unserer Lebensweise und unserer Arbeit.
Möge der Tantranetz-Newsletter dazu beitragen.
*Mehr zum erwähnten Gerichtsprozess:
http://archiv.connection.de/index.php/magazintexte/tantra/1592-ist-tantra-heilkunde
Text: Saleem Matthias Riek
Website: www.schule-des-seins.de