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Gibt es Tantra heutzutage überhaupt?

In der heutigen Zeit wird den westlichen Tantra Schulen gerne vorgeworfen, dass sie mit dem ursprünglichen Tantraweg gar nichts mehr zu tun haben. Das sogenannte „Neo-Tantra“ wird abgewertet zu reinen Wellness-Veranstaltungen. Wirft man jedoch einen ehrlichen Blick auf die Tantra-Angebote, so muss man zugeben, dass viele Tantraschulen immer noch angebunden sind an die Tradition des Tantra und dem ursprünglichen Ziel dienen, sogar, wenn es manchmal gar nicht im Bewusstsein ist. Zwar haben sich die Methoden und Werkzeuge dem Zeitgeist angepasst. Alle tantrischen Sucher aber, die über Tantra als reine Lebenshilfe hinausgehen, werden zur spirituellen Praxis geführt. Dabei ist es unerheblich, ob man den für uns heute leichter verständlichen Anweisungen spiritueller Lehren folgt (wie z.B. Eckhart Tolle oder dem „Kurs in Wundern“) oder die ewig unveränderliche Wahrheit aus den alten Texten (z.B. Bhairava Tantra oder Bhagavad Gita) hören und erfahren lernt.

Die Ursprünge von Tantra findet man in Indien. Tantra selbst ist keine Religion, durchdringt aber die beiden in Indien entstandenen Religionen Buddhismus und Hinduismus. Über die historischen Anfänge herrscht Unklarheit. So wird der Anfang manchmal 7000 v. Chr. datiert, anderen Orts setzt man die Zeit 300 v. Chr. fest. „Tantras“ sind die überlieferten alten Texte, die im Hinduismus aus Gesprächen zwischen der männlichen und weiblichen Gottheit in Frage und Antwort Form bestehen. Die buddhistischen Tantras sind Mantra ähnliche Formeln und später auch Lehrreden. Die Inhalte der Tantras waren geheim und wurden in verschiedenen Stufen der Einweihung vom Lehrer (Guru) an seine Schüler weiter gegeben. Im Großen und Ganzen ist die Tendenz der Texte eine Anleitung zur Praxis. Das Ziel dieser Praxis des Tantra Schülers ist letztendlich seine Befreiung von den irdischen Anhaftungen durch die Rückkehr zur Einheit. Die Überwindung der Gegensätze der materiellen Welt geschieht dabei jedoch nicht durch Ablehnung und Askese, sondern durch Bejahung aller Aspekte des Daseins. Ja sogar noch weit mehr: Der Körper, die Sexualität, die menschlichen Verstrickungen werden geradezu zu Mitteln der Befreiung. Ist der Mensch durch die tägliche Praxis und die Unterweisung durch einen Tantra Meister wieder an seinen göttlichen Ursprung angeschlossen, d.h. erleuchtet, hat er das tantrische Ziel verwirklicht.

Jede der deutschen Tantraschulen verfolgt vermutlich diesen Weg hin zur innersten Essenz, hat aber – u.a. bedingt durch die Persönlichkeit der Leitung – jeweils andere Schwerpunkte. Da auch die Teilnehmer unterschiedliche Vorlieben haben, wird jeder Mensch genau den Tantra Lehrer bzw. die Tantra Lehrerin finden, die zu ihm passen. Am besten folgt man bei der Auswahl seiner Intuition beim Durchlesen von Prospekten oder Websites. Manchmal ist der Besuch einer Einzelveranstaltung zu empfehlen, um sich einen ersten Eindruck von der Person zu verschaffen, der man sich anvertraut.

Auch heute gilt wie früher, dass Tantra keine Religion ist. Insofern ist jeder willkommen in seiner speziellen religiösen Färbung und auch dann, wenn sein Lebensweg keine festgelegte Form (Religion) der Suche nach dem Größeren enthält. Auch jeder, der sich atheistisch nennt, ist im Tantra von Herzen willkommen. Es gibt nämlich gar nichts, was auf der Reise zur Selbsterkenntnis nicht genutzt werden könnte. Als Tantraweg der Befreiung setzen wir die ursprüngliche Tantra Tradition fort.  Die Befreiung des Menschen aus seinen irdischen Anhaftungen, die Glückseligkeit und Freiheit als Folge hat, ist das Ziel. Das Leben selbst und die Praxis im Alltag sind dabei die obersten Lehrmeister.

Aus dem kleinen Ich (dem Ego) heraus ist nur begrenzt Veränderung möglich. Deshalb bleibt dem Glückssuchenden nichts anderes übrig, als sich in demütigem Vollzug dem Größeren (dem Leben, dem Göttlichen, dem Unsagbaren) anzuvertrauen. Diesen Vorgang nennen die Religionen Gebet. Das innere Gebet bedarf aber nicht der bestimmten Form einer Religion. Es wird sowieso immer mehr in die Formlosigkeit weisen und zur Formlosigkeit werden. Zu Beginn ist die in inneren Worten gesprochene Anbindung nötig. Sie wird immer wieder und immer mehr auch der wortlosen Meditation weichen. Bei Tantra Ritualen in meinen Seminaren wird der Zugang zu dieser Quelle der Veränderung bewusst geschult. Tantra ist so verstanden keine Religion und vertritt auch keine besondere religiöse Richtung. Jeder Mensch betritt diesen inneren Raum auf seine Art. Das Intimste, was in tantrischen Begegnungen möglich ist, ist ein einander offenbartes inneres Gebet und nicht unbedingt die sexuelle Gipfelerfahrung. Wo beides jedoch zusammenfließt, Himmel und Erde, Gebet und Sinneslust, Meditation und Sexualität jubelt die befreite Seele.

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Text: Regina Heckert

Webseite: www.befree-tantra.de

Alte Texte als Grundlage von BeFree Tantra:

Bhairava Tantra

Zwölf Tantras (Unterweisungen)

Verse aus der Bhagavad Gita

Gibt es Tantra heutzutage überhaupt?
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Regina Heckert

Regina Heckert ist 1956 geboren. Sie hat bereits als junge Frau Tantra Rituale entwickelt und zelebriert, später dann auch Tantra im Außen gefunden und bei vielen Lehrern „studiert“. Ihre tantrische Arbeit wird ergänzt, erweitert, vertieft und bereichert durch die Anbindung an alte tantrische Texte und Überlieferungen, zeitgemäße spirituelle Weisheit und Lehren, sowie die Aufstellungsarbeit nach Bert Hellinger.

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2 thoughts on “Gibt es Tantra heutzutage überhaupt?

  • 27. November 2019 um 16:33
    Permalink

    Liebe Regina,
    danke für diesen Beitrag!
    Das kleine „Ich“, mein Ego kann aber doch eine Menge Veränderung bewirken! Schließlich entscheidet sich mein „Ich“ für die Teilnahme an einem bestimmten Tantraseminar bei genau dieser Tantraschule und auch dort wird jeden Tag viel Entscheidung von meinem Ego verlangt. So kann ich z. B. egoistisch nach Erfüllung welcher Art auch immer suchen und möglichst viel für mein Geld „mitnehmen“ wollen.
    Um sich seines göttlichen Ursprungs zumindest zu nähern und irdische Anhaftungen zu überwinden bedarf es aber eher Geduld und aufrichtiger Bemühungen. Schließlich ist nichts Wertvolles einfach zu erlangen.
    Für mich sind weniger innere Worte als vielmehr dieses „sich selbst treu bleiben“ und die Stille in Meditation von Bedeutung. Das Intimste stellt sich daher bei mir im Mut des „so sein Dürfens, wie ich mich fühle und dies dem anderen zuzumuten“ dar.
    Allmählich fühlt sich ein Seminar wie ein „nach Hause kommen“ an. Warum? Einen Grund sehe ich in diesem erwartungsfreien „da sein dürfen und angenommen werden“. Wenn Tantra ein Weg zur Befreiung ist, so ist dies zumindest ein hilfreicher Anfang.
    Petra

    Antworten
  • 21. Februar 2020 um 16:01
    Permalink

    Liebe Petra,
    ich habe Dich dieses Mal lange auf eine Antwort warten lassen. Tut mir leid, aber ich hatte die letzten Monate wirklich viel um die Ohren. Vielen Dank, dass Du Dir schon so oft Zeit genommen hast, meine Artikel zu kommentieren, zu bereichern und zu ergänzen. Das ist Dir auch diesmal wieder sehr gut gelungen. Vielen Dank für Deine Anregungen und bis bald mal wieder!
    Von Herzen
    Regina

    Antworten

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