Das Ende der Gurus?
Wenn ich über das Thema „Grenzen“ im tantrischen Kontext nachdenke, dann beschäftigt mich vor allem die Frage nach den Grenzen zwischen SeminarleiterInnen und TeilnehmerInnen.
Vor zwanzig Jahren hatte ich als junge Frau erlebt, dass es die Leiter eines renommierten Instituts mit der Grenze nicht so genau nahmen. Dass es private Partys gab, wo besonderen „Günstlingen“ auch erotische Aufmerksamkeit von den „Meistern“ zuteil wurde. Und dass das nicht in Frage gestellt wurde – im Gegenteil, dass ein Großteil der „SchülerInnen“ große Anstrengungen unternahm, auch zu diesem erlauchten Kreis zu gehören und besondere Aufmerksamkeit zu erhalten.
Später habe ich bei SkyDancing Tantra erfahren dürfen, dass es sehr klare Richtlinien zum Verhältnis zwischen TeilnehmerInnen und Leitungs-Team gibt. Sollte sich zum Beispiel eine Assistentin in einen Teilnehmer verlieben und umgekehrt, so haben die beiden – je nach Dauer und Intensität des Seminars – ein bis mehrere Monate zu warten, bevor sie sich ihrer körperlichen Anziehung hingeben. Hier fand ich ein hohes Bewusstsein über die Verantwortung den TeilnehmerInnen gegenüber und fühlte mich immer in einem sicheren Raum was die Begleitung durch das Team betraf.
Tantra hat eine lange Tradition von Gurus, Meistern und Lehrern, die sich klar von der Gruppe der Schüler abgrenzen. Diese starke Hierarchie hat in der Vergangenheit nicht selten zu Machtmissbrauch geführt und dazu, dass LehrerInnen ihre Rolle dazu benutzen, SchülerInnen von sich abhängig zu machen und die Grenze zur sexuellen Intimität zu überschreiten.
Margot Anand, die Gründerin von SkyDancing Tantra und Pionierin des westlichen Neo-Tantra, beleuchtet in ihrem neuen Buch „Love, Sex and Awakening“ einige typische „Versuchungen“ denen sich wohl alle Seminarleiter immer wieder einmal ausgesetzt sehen. Sie klammert dabei auch ihre eigenen Erfahrungen und Irrtümer nicht aus: „… in den frühen Achtziger Jahren herrschte ein gewisser stürmischer Geist in unseren Trainings, der unsere Indiskretionen weniger ernst erscheinen ließ, mehr wie eine Komödie als eine traumatische Erfahrung.“
Aber die Zeiten ändern sich und so gibt es – spätestens seit auch Seminare in den USA angeboten wurden – strenge, selbstauferlegte Richtlinien über den Umgang mit TeilnehmerInnen und die gebotenen Grenzen. Margot weist aber auch darauf hin, dass es in den Hinduistischen und Buddhistischen Traditionen als großes Glück aufgefasst wird, von einem erleuchteten Lehrer geführt und begleitet zu werden, man mit unserem westlichen Skeptizismus also nicht das Kind mit dem Bade ausschütten sollte. „Die Wahrheit ist Komplex: Tantra und Yoga können den Menschen einen Weg zum Erwachen erschließen, um der Welt zu dienen, oder sie können für den Zuwachs an persönlicher Macht ausgebeutet werden. Es gibt keine absoluten Garantien.“
Umgekehrt werden die SeminarleiterInnen von ihren TeilnehmerInnen oft auf ein Podest gestellt, verehrt und in die Vater- bzw. Mutter-Rolle gedrängt. Diese Projektionen zu erkennen und klar zu benennen ist eine wesentliche Aufgabe für jede/n, der oder die eine Gruppe verantwortungsbewusst leiten will.
Wähle Deine Lehrer mit Bedacht
Könnte es sein, dass sich das Zeitalter der „Gurus“ in unseren Breiten langsam seinem Ende nähert? Die Sannyasins, die noch von Osho persönlich instruiert wurden, hören nach und nach mit dem aktiven Unterrichten auf. Die neue Generation, die nachkommt, kann mit Hierarchien nicht mehr so viel anfangen. Statt traditioneller Wissensvermittlung und Transmission von „oben“ nach „unten“ geht es heute mehr darum, Erfahrungsräume zu schaffen und zu halten. Die SeminarleiterInnen zeigen sich menschlich und verletzlich, nicht „größer, wichtiger oder erleuchteter“ als die anderen in der Runde auch.
Wo es kein großes Gefälle zwischen LehrerInnen und SchülerInnen mehr gibt, reduziert sich auch die Gefahr des Machtmissbrauchs. Es geht um Gemeinschaft, Authentizität und Gleichwertigkeit. Gerade wenn es um so sensible Themen wie Intimität, Berührung und Sexualität geht. Ich setze auf die neue Generation von „Facilitators“, die professionell agieren und sich dennoch nicht hinter ihrer Rolle verstecken, sondern in Beziehung gehen und sich mit ihren Gefühlen, ihrem Frau- und Mann-Sein und ihrer Menschlichkeit – und damit Fehlbarkeit – einbringen.
Was Margot den Neulingen im Tantra als guten Rat mitgibt: „Wähle Deine Lehrer mit Bedacht. Sei Dir bewusst, dass jede Art von Unterrichtssituation, ob traditionell oder innovativ, ausgenutzt werden kann. … Der wahre Schutz ist, Dir selbst zu vertrauen, Deinem eigenen Herzen zu folgen, von Deinen Erfahrungen zu lernen und Deine Augen weit offen zu halten. Fehler werden passieren – das ist, wie wir lernen und reifen. Aber gib Deine eigene Stärke nicht ab, weder für eine Yoga Asana noch für ein Intermezzo im Heu!“
Text: Brigitte Erhardt
Webseite: www.MySexySalad.com